Eine Alpenüberquerung könnte man ja auch mal wieder machen, haben wir uns so gedacht. Wann und wo aus der lose formulierten Idee ein handfester Plan wurde, das weiß keiner mehr so genau. Am Ende taten sich drei zusammen, um gemeinsam auf die Reise über die Alpen zu gehen: AndreaSigi und ich. So ganz unbeleckt sind wir dann ja auch nicht. Andrea war zum Zeitpunkt der Planung bereits zweimal mit Multicycle Tours über die Alpen gefahren. Ich bin bei der bikeTRANSALP 2017 mit Sigi von Mayrhofen nach Riva „geradelt“ und Sigi kann seine Passagen über den Alpenhauptkamm wahrscheinlich gar nicht mehr zählen. Aber in dieser Konstellation haben wir „es“ halt noch nicht getan…

Als Startpunkt haben wir uns „die Leutasch“ ausgesucht – ein Tal südlich der Zugspitze. Von Köln und dem Chiemgau gleich gut zu erreichen 😉 Andrea und ich sind schon früher angereist, um uns zu akklimatisieren und vor dem Abenteuer ein wenig runter zukommen. Wenn man den Kopf noch voll Arbeit hat, dann kann man vieles nicht so genießen. Also sind wir ein wenig durch die Leutasch gewandert, waren lecker essen und haben dem großen Tag entgegen gefiebert.

Andrea sitzt im Volvo und wartet. Wo bleibt Sigi?

Heike (=Sigis Heike) und Sigi kamen am Sonntag morgen in der Leutasch an. Am Vorabend musste auf Sigis „Nebengebäudebaustelle“ noch ein riesiger Leimbinder eingebaut werden. Das sorgte für Verzögerungen. Nach freudigem „Hallo!“, kurzer Vorstellung von „Tina“ (eine Kollegin von Heike) und Verladen der Ausrüstung in den Materialwagen (Heike hatte sich freundlicherweise bereiterklärt, unser Gepäck und die Ausrüstung von Etappenort zu Etappenort zu transportieren!) konnte es losgehen. 


Etappe 1: Leutasch – Dollinger (50km | 1.000hm | 4Std )

Das Gaistal entlang der Leutascher Ache ist ein beliebter Wochenendtreffpunkt. Für Einheimische und Urlauber gleichermaßen. Zum Glück verteilten sich die Horden Fußgänger in Flipflops sehr schnell rechts und links in die Bachauen, so dass wir den Anstieg zur Ehrwalder Alm in Ruhe angehen konnten.

Ich hatte das aus der Streckenplanung und dem Höhenprofil gar nicht mehr so in Erinnerung, dass es direkt bergauf geht?!

Andrea konnte es irgendwie nicht so recht glauben, aber es war wirklich so: es ging von Anfang an bergauf! Für den ersten Tag waren rund 1.000 Höhenmeter angekündigt und davon kamen vierhundert direkt im ersten Anstieg. Wir waren uns aber im Vorfeld schon einig geworden, dass das eine Genusstour über die Alpen werden sollte. Also ließen wir es locker angehen und kurbelten entspannt in Richtung Zugspitze. 

Auf der Ehrwalder Alm gönnten wir uns dann auch die erste Pause des Tages. Leberkäse mit Pommes und alkoholfreies Weizen (Martin+Sigi) für – wir waren immerhin an einem touristischen Hotpot in den Bergen – einen wirklich fairen Preis. Andrea mümmelte einen reichlich beladenen Brotzeitteller.

M: Wollen wir auf dieser Tour wirklich keine für Biker gesperrten Wege fahren?
A: Du hast es versprochen!

Also folgten wir der für Biker ausgeschilderten Strecke über Asphalt Richtung Ehrwald ins Tal. Wer die Stelle kennt, der weiß, dass hier brutal steil 600hm vernichtet werden. Da kamen die Bremsen zum ersten Mal ans Jaulen. Wer sich die  Karte jetzt genauer anschaut, der wird kleine Trails als Verbindung zwischen den Serpentinen entdecken. Genau das tat ich vor Ort auf dem GPS auch. Den ersten Trail hatte ich verpasst… den zweiten auch… aber der dritte konnte mir nicht entkommen. Todesmutig stürzte ich mich vom Asphalt in den ausgewaschenen Schottertrail um wenige Meter später zu bemerken, dass ein querliegender Baumstamm eine Vollbremsung empfehlenswert machte. Vollbremsung? Schotter? Ausgewaschen? Ganz genau. Blutiges Knie, grünblauer Oberschenkel und die Erkenntnis, dass so eine Tour wegen so einem Blödsinn auch mal ganz schnell zu Ende sein kann.

Der folgende Anstieg auf die Fernpasshöhe war ein wenig zäh – hatte er doch die restlichen 600 Höhenmeter im Gepäck. Aber die Aussicht auf die Berge, die Landschaft und das Wissen, dass es nach der Passhöhe nur noch bergab geht, ließen auch diese Strapazen verfliegen. Oben gab’s Eis und Cola und ein nettes Gespräch mit drei älteren Österreichern. Wir waren relativ schnell bei der Flüchtlingskrise und den katastrophalen Auswirkungen für Europa angekommen als Zipo einem der älteren Herren vor Augen geführt hat, dass er (der Opa) selbst auch ein Flüchtlingskind sei: er hatte vorher erzählt, dass seine Eltern nach dem Krieg aus Südtirol nach Österreich geflohen waren. Da hatte er noch nicht drüber nachgedacht…

Bis zum Gardasee? Sie schaffen das aber nicht, oder?

Über diese sympatisch unverschämte, an Andrea gerichtete Frage, haben wir uns die restliche Tour noch amüsiert…

Unsere Pension in Dollinger war einfach, die steinalte Gastwirtin sehr gebeugt und das einzige Restaurant nur für busreisende Chinesen geöffnet.

Chinese only! 

warf uns einer der vollgesoffenen Einheimischen von der Theke entgegen. Wir sind dann jeglicher Diskussion ausgewichen und einfach nach See-Eck ins See-Eck gefahren. Da war es schlicht gut! Leckeres Essen, ein netter Chef und Haselnuss-Schnaps. Gute Nacht 🙂


Etappe 2: Dollinger – Nauders (90km | 1.220hm | 6Std)

Und dann kam die Königsetappe – und das schon am zweiten Tag. Während die Route des ersten Tages zu großen Teilen selbst geplant war, blieben wir am zweiten Tag auf bekannten Wegen. Wir folgten dem Inntal-Radweg und der Via Claudia bis Landeck. Dort haben wir uns freestyle durch den Ortskern geschlängelt um dann weiter dem Inn in Richtung Italien zu folgen.

Zwei Drittel von uns wagten sich dann auch irgendwann todesmutig mit den Füßen in die eiskalten Fluten. Das verbliebene Drittel wollte sich die Füße nicht nass und die Schuhe nicht schmutzig machen…

Mein Knie – ich sehe es gerade auf dem Bild – tat auch schon gar nicht mehr weh.

An der berühmten Kajetansbrücke gönnten wir uns im gleichnamigen Hotel eine Mittagspause und versteckten uns dabei erfolgreich vor dem herannahenden Gewitter. Ich glaub, es gab Spaghetti und keine Suppe! 

Erfreulicherweise verschonte uns das Gewitter, so dass wir trocken in der Schweiz ankamen.  Die Einreise verlief reibungslos (wir wurden nicht kontrolliert 😉 ) – und das, obwohl Sigi seinen Ausweis nicht am Mann hatte. Selbiger war im Materialwagen unterwegs nach Nauders. Nun mussten wir eine Entscheidung treffen: fahren wir von Martina die Passstraße mit elf Kehren und knapp 400hm zur Norbertshöhe, oder fahren wir noch ein Stück weiter in die Schweiz und dann von Sclamischot über die Rückseite des Mutzkopfs zum verdienten Weizenbier? Wir entschieden uns für die letztere, mit knapp 500hm etwas härtere, Variante. Dieser Streckenabschnitt war übrigens der Schlussanstieg der ersten Etappe der diesjährigen bikeTRANSALP. Also genau das richtige für uns.

Bei bis zu 38° Außentemperatur, schwindenden Wasservorräten und einer erbarmungslosen Sonne von oben waren die Fliegen & Bremsen, die uns umschwirrten eher das kleinere Problem. Aber irgendwann waren wir oben (ja, wirklich!) und wurden mit einem sensationellen Blick ins Inntal belohnt.

Die letzten Meter zum Restaurant Norbertshöhe (wo wir das besagte Weizen einschoben) und im Anschluss nach Nauders ging es nur noch bergab. In Nauders hatten wir ein komplettes Ferienhaus mit Wohnung+Terrasse und zwei großen Zimmern für uns alleine. Keine Ahnung, wie Sigi das wieder hinbekommen hat. Nach einer ausgiebigen Dusche und ein paar Dosenbier auf der Terrasse folgten wir Bernhards Empfehlung und gingen im Gasthof Zum goldenen Löwen essen. Nein – „essen“ wird dem nicht gerecht! Wir speisten!


Etappe 3: Nauders – Morter (67km | 350hm | 3.5Std )

Nur berab! Das war der verheißungsvolle Plan für diesen Tag. Ein bisschen langweilig, nicht war? Hab ich mir auch gedacht und einen Besuch der Befestigungsanlagen an der österreichisch/italienischen Grenze eingeplant. Und wer ortskundig ist der weiß, dass diese Panzersperren auf Plamort eben oben sind. Ums kurz zu machen: wir haben die Bahn genommen und sind dann über den Almtrail rüber auf das Hochplateau gefahren. Schon beängstigend wenn man sich überlegt, was und warum die hier solche Barrikaden in die Berge gezimmert haben…

Beim Frühstück hatte sich Andrea ihren Apfel im wahrsten Sinne des Wortes vom Munde abgespart, um damit die Wildpferde (oder wild lebenden Pferde) auf Plamort zu erfreuen. Und, was soll ich sagen, sie haben sich gefreut. Allerdings hatten sie auch auffälliges Interesse am apfelfarbenen Sigi…

Trotz schnell aus dem Norden herannahender Gewitterfront, ließen wir uns das nach Süden gerichtete Plamort-Standard-Foto nicht nehmen. Also, am Ende waren es dann mehr als ein Foto. Deutlich mehr…

Nach der Abfahrt nach Graun und dem an dieser Stelle wirklich verpflichtendem Foto am Kirchturm, trafen wir auf Heike und Tina, die uns nun ein Stück begleiten wollten. Leider war das Unterfangen, irgendwo ein Cafe oder Restaurant anzufahren nicht so recht erfolgreich, so dass wir uns nach schneller Abfahrt in Burgeis wieder trennten. Heike und Tina fuhren gegen den Wind den Berg hoch wieder nach Graun und der Rest weiter der Strecke folgend bergab mit Rückenwind durchs Vinschgau. Als nächster Treffpunkt wurden die Fischteiche in Brugg angepeilt.

Leider zeigte sich bei Heikes Versuchen, die Fischteiche anzufahren, dass das ohne Ortskenntnis und mit zwei VW Bussen (Tina hatte auch einen) nicht so einfach möglich war. Es war sogar unmöglich. Leider brauchten wir für diese Erkenntnis einige Zeit, so dass wir irgendwann von der Gewitterfront des Vormittags eingeholt wurden. Meine Wetter-App war mit der Prognose für die nächsten Stunden eindeutig: das würde eher noch schlimmer werden! Und als sich dann aus leichtem Nieseln endlich ein Wolkenbruch entwickelt hatte, brauchte es eine Entscheidung!

Das wird in den nächsten Stunden nicht mehr besser. Wir haben noch 13km vor uns, es sind 25° und wenn wir jetzt losfahren, dann sind wir in einer halben Stunde unter der Dusche. 

Genau so haben wir es dann auch gemacht! Es war schon ein komisches Gefühl, mit einem Gewitter im Nacken als Zug auf einem vollkommen verlassenen Radweg durch den Wolkenbruch zu jagen. Die dunkle Brille ließ die Situation noch bedrohlicher erscheinen. Nach wenigen Kilometern kamen wir an eine überdachte Brücke über die Etsch, in der sich Unmengen Radfahrer dicht zusammendrängten und Schutz vor den Wassermassen von oben suchten. Die Stimmung war ein wenig wie bei einem Katastrophenfilm, wo sich die letzten Überlebenden zusammenrotten. Oder wie bei The Walking Dead. Wir bekamen so manchen ungläubigen Blick ab, als wir uns klingelnd unseren Weg durch die Menschen bahnten. Aber wie das halt so ist: als wir durch waren, starteten auch noch andere und folgten uns. Einer muss halt vorangehen. Womit wir nicht gerechnet hatten, war der Temperatursturz, der den Regen begleitete. Um rund 15°C schepperte das Thermometer  bei Kilometer 58 nach unten! Das war heftig!

Nass bis auf die Haut und auch ein wenig durchgefroren erreichten wir den Georgshof in Morter. Peter (der Wirt) empfing uns freundlich und war sehr zuvorkommend. Dass wir ihm den Eingangsbereich seines Gastraums voll tropften störte ihn überhaupt nicht. Wir fühlten uns von Anfang an wohl und haben dann noch schnell Halbpension nachgebucht, geduscht, ein wenig Fußball geschaut und ein paar Bier getrunken. Beim Versuch, alle nassen Gegenstände zum Trocknen aufzuhängen, ging uns irgendwann der Platz auf dem Balkon aus. Und das, obwohl ich Reepschnur als Wäscheleine dabei hatte!

Das Abendessen hielt dann noch eine kleine Überraschung bereit: als Vorspeise gab es Gnocchi in einer auffällig weißen, zähflüssigen und nach Käse riechenden Soße. Wie allgemein bekannt, habe ich eine frühkindliche Fehlprägung und mag keinen Käse. Aber das war Käse. Viel Käse. Aber solange es niemand beim Namen nennt, ist alles gut. Also ruhten heimlich alle Blicke auf mir – alle warteten darauf, dass ich dahinter komme, dass das Käsesoße ist. Andrea hatte sich schon vorbereitet, um mir die Soße als „südtiroler Bechamel“ zu verkaufen! Ich mümmelte währenddessen seelenruhig meine Gnocchi, immer darauf bedacht, möglich wenig Soße zu erwischen – als es vom Nebentisch laut erklang:

Des is de leggeste Goggonzolasoß wo ich jemmals geggesse hen!

Gorgonzola! Mein (entgleistes) Gesicht war wohl „ganz großes Kino“ 😉  Nach noch ein wenig Fußball haben wir dann wieder relativ zeitig den Weg ins Bett angetreten. Das war ein anstrengender Tag – dafür, dass es eigentlich nur bergab ging 😉


Etappe 4: Morter – Tramin (88km | 1.000hm | 5Std )

Nach einem ausgiebigen Frühstück begann der vierte Tag – was die Streckenführung anging – so, wie der dritte Tag endete: bergab. Wir genossen die Landschaft und die Sonne, lobten die Radwege im Vinschgau und ließen uns 25km lang treiben. Dann kam das erste Abenteuer des Tages: ich hatte die Strecke so geplant, dass uns die Route nicht im Tal um das Vigiljoch herum, sondern oben drüber führen sollte. Für zwei Drittel des Aufstiegs nahmen wir die Aschbach-Seilbahn in Rabland zur Hilfe. Gemessen am Rest der Gondelpassagiere waren wir echt gut gelaunt 😉

Und bevor jetzt hier einer „Jaja! Ohne Motor!“ witzelt: nach der Bahnfahrt warteten nochmal rund 500hm auf uns. Aber in so einer grandiosen Landschaft merkt man die kaum, ne?

Die eigentlich für „oben auf dem Berg“ geplante Mittagspause ließen wir ausfallen: wir waren zu früh dran und hatten auch noch keinen Hunger. Also kurbelten wir übers Joch drüber und wurden auf der Südseite mit grandiosen Ausblicken belohnt. Die Abfahrt nach Lana machten wir über Asphalt, aber auch das macht auf den superschmalen Bergsträßchen echt Laune!

Wieder im Tal angekommen, folgten wir der Via Claudia in Richtung Kaltern am See. Irgendwie rächte es sich jetzt aber, dass wir die Mittagspause gestrichen hatten und eine gewisse hungrige Unruhe griff um sich. In Nals fanden wir dann endlich ein Cafe, wo wir uns ein Stück Kuchen und ein Eis gönnten. Keine Offenbarung, aber der Hunger trieb’s rein.

Kaltern war schneller vorbei, als man erwarten würde. An einem Ende rein, zwei Kreisverkehre, am andern Ende wieder raus. Wir kamen dabei auch am Ziel-/Start-Bereich der 4./5. Etappe der bikeTRANSALP 2017 vorbei. Da wurden Erinnerungen wach! Hinter Kaltern halfen wir einem plattfüßigen Rennradfahrer mit Pressluft aus. Amüsiert stellten wir dabei fest, dass sein Ersatzschlauch vollkommen morsch war – allerdings erst, nachdem die ersten beiden Patrone verschossen waren.

Martin: Wie alt ist der Schlauch denn? Der ist ja vollkommen morsch!
ER: Den habe ich gerade neu gekauft!
Sigi: Dann solltest Du dringend mal mit Deinem Teile-Dealer reden!!  

Wir haben dann den punktierten, aber nicht porösen Schlauch geflickt und mit weiteren zwei Patronen genug Druck für seine Heimfahrt erzeugt. Hoffentlich ist er zu Hause angekommen…

In Tramin erwarteten uns dann zwei Überraschungen: das Hotel lag oben und es galt eine gewaltige Rampe zu erklimmen. Ich hab gerade extra mal das Strava Segment Vineus Climb angelegt. Und die zweite Überraschung war das Hotel selbst! Ich sag nur Marmorklo!

Nach ein paar Bierchen auf Sigis Terrasse gab’s am Abend im Dorf noch eine Pizza. Wir schliefen früh und fest.


Etappe 5: Tramin – Lago di Nembia (56km | 1.200hm | 5Std )

Nach einem grandiosen Frühstück (Andrea war hin und weg!) hielt der kommende Tag zwei Streckenvarianten für uns bereit. Es war im Vorfeld bei den Planungen nicht klar zu erkennen, ob der Straßentunnel Galleria Rocchetta und die dann folgende Strada Statele della Val di Non mit dem Rad um- oder sogar befahrbar war.  Und Andrea konnte sich auch nicht mehr erinnern, wie sie diese Engstelle bei Ihrem Alpencross 2014 bewältigt hatte. Vielleicht kann mir ja ein Ortskundiger bei Gelegenheit mal erklären, wie man dieses Kuddelmuddel bei Rocchetta mit dem Rad ordnungsgemäß befährt?! Wir haben es geschafft, aber es war lebensgefährlich. Zum Glück waren wir nach einem Linksschwenk in Maso Milano schlagartig wieder im Hinterland. Landschaftlich der Hammer aber – und das sollte jetzt für einige Zeit auch nicht mehr anders werden – unheimlich steil.

Auch heute hatten wir wieder Pech mit der Mittagspause: eigentlich wollten wir in Spormaggiore eine Kleinigkeit essen, aber irgendwie sind wir im Hinterland ohne es zu merken an der Stadt vorbeigefahren. Und irgendwann war es zu spät zum umkehren. Naja, dafür gab’s dann halt Astronautennahrung aus der Tube…

Andreas glückliches Gesicht beweist die in Tütenform verpackte Kombination aus nahrhaft und lecker. Aber die in dieser Tüte enthaltene Energie sollten wir im nicht enden wollenden Anstieg nach Andalo, bei stellenweise weit mehr als 20% Steigung, noch brauchen…

Auch diese Quälerei hatte irgendwann ein Ende – wir erreichten wieder die Zivilisation und ein an einem Sportplatz gelegenes, kleines Restaurant. Weil Andrea die ganze Zeit von einem „Sportzentrum“ sprach, an dem sie bei Ihrem ersten Alpencross angehalten hatte, sind wir einfach mal davon ausgegangen, dass das dort war. Also aßen wir eine Kleinigkeit und  fuhren dann irgendwann weiter. Man kann festhalten, dass die Sprachbarrieren jetzt schon höher waren. Wenn man einen Tee mit Zitrone bestellte, bekam man zuverlässig einen Eistee. Bier und Kaffee haben sie zum Glück verstanden 😉 

Auf dem nun folgenden Stück durch einen Wald mussten wir um kleine Waldfrösche Slalom fahren. Also nicht um zwei, drei, sondern um Tausende!! Alles war voller Frösche! 

Als wir dann wirklich in Andalo ankamen wurde schnell klar, dass dieser kleine Sportplatz im Wald nicht das Sportzentrum war, an das Andrea sich erinnerte! Andalo ist eine Olympiastadt und dort ist richtig was gekocht – wie wir jetzt wissen. Sigi entdeckte am Ortsausgang durch Zufall einen netten Trail links der Straße, so dass uns zum Lago di Molveno der Asphalt erspart blieb. Jetzt hatten wir es fast geschafft!

Am dann schon bald folgenden Lago di Nembia erwartete uns ein wunderschönes Fleckchen Erde. Natürlich touristisch erschlossen, aber wunderschön. Und der Chef hatte sichtlich Freude, unsere Räder in seiner perfekt organisierten Fahrradgarage zu verstauen.

Beautiful Bikes! Beautiful Bikes! It’s carbon, right?! Beautiful Bikes!

An der neben der Bike-Garage gelegenen Tesla-Ladestation hätte man auch seinen Tesla laden können, hätte man einen und hätte man ihn dabeigehabt…


Etappe 6: Lago di Nembia – Riva (60km | 1.000hm | 5Std )

Schade, das ist schon der letzte Tag! Für diesen besonderen Tag hatte ich drei Streckenvarianten vorbereitet. Wir entschieden uns für die kilometermäßig mittlere, die aber die meisten Höhenmeter hatte. Irgendwie wollten wir nicht, dass es zu einfach zu Ende geht. Das Finale sollte schon noch ein wenig weh tun. Und das tat es dann auch. Die ersten 20 Kilometer waren irgendwie ein Wechselbad der Gefühle. Mal rauf, mal runter und landschaftlich unschlagbar.

Es muss so ungefähr bei Kilometer 25 gewesen sein, als uns die Erkenntnis einholte, dass ich die Karte bei der Planung wohl nicht zu hundert Prozent richtig gelesen oder interpretiert hatte. Vor uns tat sich ein Weg auf, der mit ganz viel gutem Willen und mit der richtigen Ausrüstung vielleicht bergab fahrbar gewesen wäre. Aber nicht bergauf! Also schieben…

Und dann schiebst Du irgendwann über die Kuppe, fängst wieder an zu kurbeln und Sigi sagt:

Sig’schst! Mir san d’rüber! Die Bäume wock’sn in’d andere Richtung!

Mit den Wurzeln nach oben, oder was?? Aber Sigi hatte recht: als wir aus dem Wald kamen, konnte man gut erkennen, dass das Wetter hier aus der anderen Richtung kommt. Und dann kommt der Moment, wo die Bäume verschwinden und Du diesen Ausblick genießen kannst:

Dann ging’s nur noch bergab und die kurzen Gewitterschauer waren jetzt auch egal. Kurz vor dem See bogen wir nochmal in Richtung Arco ab, weil wir dort mit Heike in einem Café verabredet waren. Und da saßen wir nun: auf der anderen Seite der Alpen…

Auf dem Weg zur Pension haben wir noch einen Schlenker zum See gemacht, um das obligatorische Gardasee-Foto aufzunehmen, dann folgte noch ein Schlenker zu Mecki’s fürs ebenso obligatorische Trikot-Shopping und zu guter Letzt der Endspurt zu unserer Pension. Heike hat, wie in den Tages zuvor auch schon, die Zimmer klar gemacht und das Gepäck verteilt. Nach einer ausgiebigen Dusche und ein paar Bier auf Sigis Terrasse (irgendwie hat sich das die Woche über eingebürgert) gab es auch heute Abend wieder eine Pizza. Und damit ging unser Alpencross 2018 zu Ende…  


Heimreise

Irgendwie wehmütig machten wir uns auf den Heimweg in Richtung Leutasch. Dort teilten wir uns auf. Sigi und Heike sollten ca. zwei Stunden bis nach Hause brauchen und auch wir, die Fraktion aus dem Rheinland, hatten anfangs Glück mit dem Verkehr und konnten am gleichen Tag ebenfalls noch die Heimreise in Richtung Deutschland antreten. Allerdings war der Fernpass dann doch ziemlich dicht und wir ziemlich müde, so dass wir in Pfronten noch einen Zwischenstopp eingelegt haben. Ein Besuch bei Sabowizc lohnt sich auch immer. Günstiges Weizen und köstliches Essen! Und er hatte sogar noch Zimmer frei. Vom abendlichen WM-Halbfinale Kroatien/Belgien haben wir allerdings nicht mehr viel mitbekommen…

Danke! 

Ganz besonders möchte ich mich hier bei Heike bedanken, die sich auf unserer Tour in die zweite Reihe gestellt und uns mit allen Kräften unterstützt hat. Sie hat nicht nur den Materialwagen gefahren, sondern auch die Lager hergerichtet und unser Gepäck auf die Zimmer verteilt. Vielen Dank dafür!!

Schlusswort

Das Schlusswort überlasse ich heute mal Andrea – ich habe schon genug geredet.

Nach weit mehr als vierhundert Kilometern am Gardasee anzukommen heißt nicht nur, den See erreichen. Wir haben auch eigene Ziele erreicht, jeder von uns andere, jeder hat viel über sich selbst gelernt und gemerkt, dass oft mehr geht, als man sich vorstellen kann. Und dass man am Ende viel mehr mitnimmt, als man erwartet hat.